Agoraphobie Bremen e.V.

Verein für Selbsthilfegruppen

Aussagen wirken oft unpersönlich, wenn weder ein Gesicht dazu präsent ist, noch einige persönliche Angaben wie Berufsstellung oder Lebensalter beigefügt sind. Aus nachvollziehbaren Gründen ist das hier nicht möglich. Deshalb gibt es zwar Namen, diese sind allerdings frei gewählt.

Erfahrungsberichte von Betroffenen

Wilhelm:

„Durch meine sozialen Ängste habe ich mich selbst ausgegrenzt im Umgang und Kontakt mit anderen Menschen. Im Bekannten- und Freundeskreis durch vermehrte Vermeidungen von privaten Einladungen nach Hause und Teilnahme an gemeinsamen Aktivitäten mit Bekannten.

Ich habe mir selbst jede Möglichkeit zur Bildung neuer Kontakte verbaut. Das bedeutete schließlich: ich werde nicht mehr gefragt oder eingeladen. Im Berufsleben hatte dies ebenso Konsequenzen. Ich vermied angebotene Aufgaben, oder auch angebotene Herausforderungen anzunehmen, wurde zusehends unsicherer beim Reden in großen Runden. Geschäftsreisen gestalteten sich für mich schwieriger, da ich immer mehr unter Kontaktschwierigkeiten litt. Darüber hinaus habe ich mehrfach verantwortungsvolle Positionen abgelehnt. Das bedeutete dann, dass ich nicht mehr für Aufgaben oder Stellen vorgeschlagen wurde.

Die Teilnahme an der Selbsthilfegruppe hilft mir. Dort treffen sich ähnlich Betroffene, und durch das Reden über die Angst wird das Gefühl, welches damit verbunden ist, schwächer. Außerdem tut das Verständnis der Anderen gut. Feedback aus der Gruppe kann hilfreich sein, die eigene Wahrnehmung zu überdenken. Und die Gruppe gibt mir das gute Gefühl, nicht alleine mit der Angst zu sein.“

Judith:

„Ich bin mit einem schizophrenen Bruder aufgewachsen. Diese Erkrankung lähmte die ganze Familie, überforderte Eltern. Ich zog mich starr vor Angst zurück, nichts wurde richtig thematisiert, besprochen oder erklärt, nur weggedrückt. Und da ich es "so" gelernt hatte, ging ich auch mit meinen Ängsten und mir so um; jahrelang versuchte ich alles, damit bloß keiner was mitkriegt.

Später, als der Leidensdruck zu groß wurde, und ich zaghaft das Gespräch in der Familie suchte, waren prägende Aussagen: „Jetzt fang du bloß auch nicht damit an!“ oder „Beschäftige dich mal, du hast viel zu wenig zu tun, dann kommst du auch nicht auf dumme Gedanken.“

Als ich Jahre später endlich in die erste Therapie ging, herrschte familiär weiter Unverständnis: “Was machst du denn da, kannst du das nicht auch mit mir besprechen?“ (O-Ton meines Vaters). Das war damals ein echter Teufelskreis: zu den Ängsten, die in mir tobten, kam dann noch die Angst, ich „könnte ja so werden wie mein Bruder“ und die Angst, das bloß keiner was merken soll. Ich war doch diejenige, bei der alles supi und okay war, immer funktionierend und fröhlich.
......merke schon, dass ich mich in schmerzlichen Erinnerungen verliere…..

Meine Erfahrungen im Freundeskreis waren eher positiv, viele wussten nicht recht was damit anzufangen. Den Ausdruck „Angst/Panikstörung o.ä.“ gab es damals noch gar nicht so richtig, aber sie unterstützten mich so wie sie es konnten und negierten es nicht, wenn es mir schlecht ging.

Die Erfahrungen im Arbeitsleben waren eher negativ. Nachdem ich nach wochenlanger Krankschreibung wieder im Dienst war, machte mein oberster Chef eigentlich nur noch einen Bogen um mich. Andere KollegInnen waren verständnisvoller. Aber ich hatte oft das Gefühl, dass ich nicht mehr als „voll akzeptiert und belastbar“ betrachtet wurde. Und ich spürte die Angst bei vielen, „dass ihnen das vielleicht auch mal so gehen könnte und sie sich nicht damit auseinandersetzen wollten“.

Aber ich denke, dass sich dennoch die gesellschaftliche Einstellung zu psychischen Erkrankungen verändert hat. Heute kennt fast jeder jemanden, der schon mal Depressionen, Panikattacken o.ä. hatte, bzw. redet über eigene. Natürlich weitestgehend in den jüngeren Generationen. Meine Generation, die Kinder derer, die die NS-Zeit und Krieg mitgemacht hatten, sind, denke ich manchmal, besonders gebeutelt gewesen.

Meine Eltern WOLLTEN, dass es ihnen jetzt gut geht, dass es KEINE Probleme gab – und so wurde möglichst nicht darüber gesprochen und alles in die Ecke geschoben. Für sie war sicher Verdrängung überlebensnotwendig gewesen, für uns, ihre Kinder, wurde sie zum Teil zur Hölle, aus der wir erst mühsam über Jahre und mit viel Hilfe heraussteigen mussten.

Lange Zeit war ich darüber unglaublich verbittert, inzwischen kann ich manchmal meinen Frieden darüber mit ihnen machen (im Geiste).

Heute gibt es so unglaublich viel mehr Möglichkeiten, offensiv mit Problemen umzugehen. Gerade deshalb ist es für mich besonders wichtig, unter Betroffenen zu sein, denen man nicht erst erklären muss, wie ich mich manchmal fühle, wie sich eine Panikattacke anfühlt, wie es ist, wenn die Katastrophengedanken ruhelos kreisen usw., wo man Erfahrungen austauscht und teilt, Verständnis erfährt, ohne dass man mit viel Worten darum ringen muss, sich aufgehoben fühlen kann, anderthalb Stunden Schutzraum in der Woche, um sich mit "Gleichgesinnten" zu treffen, sich freuen, wenn man die Fortschritte und Erfolgserlebnisse bei anderen miterleben darf, um die oft lange gerungen wurden; oder die anderen zeigen mir meine Fortschritte auf, wenn ich den roten Faden verloren glaube...

Selbsthilfe ist was ganz Wunderbares, weil es zwischen allen – so unterschiedlich der jeweilige Hintergrund auch ist – eine ganz tiefe Verbundenheit durch gleichartig Erlebtes und Erlittenes gibt. Und – entgegen dem "Credo" meiner Kindheit: ich muss eben NICHT alles alleine schaffen!!

Es gab auch mal Spannungszeiten, wo es nicht nur lieb und nett und „ängstlich“- rücksichtsvoll zuging. Ich habe hier auch gelernt, mutiger zu sein und meine Standpunkte zu vertreten und zu verteidigen und meine Meinung zu sagen, z.B. wenn eine Gruppenteilnehmerin zum x-ten Male von den Problemen ihres aktuellen Partners erzählte, aber nicht von sich. Aber ich musste manchmal auch lernen, mich selbst zurückzunehmen und anderen Raum zu lassen und das auszuhalten.“

Tobias:

„Meine Partnerin ist auch betroffen, das hat mir in den Jahren sehr geholfen. Ich habe den Kontakt zu Eltern und Geschwistern abgebrochen, da war nichts mehr zu retten. Ich habe gelernt nach Hilfsangeboten zu suchen, aber erst durch die Unterstützung meiner Partnerin.

Mehrmals hatte ich während einer Phase der Arbeitslosigkeit Probleme mit den Behörden. Lange Wartezeiten und volle Räume haben mir fast den Rest gegeben. Ich war zu keinem vernünftigen Gespräch mehr fähig. So kam es zu einer Situation, in welcher mich ein Sachbearbeiter angeschrien hatte und ich daraufhin versuchte mich zu entschuldigen. Es war ein reines Desaster.

Hätte ich zwei gebrochene Beine, wüsste jeder was los ist. Die Einstellungen und Meinungen über seelische Erkrankungen sind in der Öffentlichkeit noch eher negativ geprägt. Daran sollte dringend etwas geändert werden. Es gibt Aufklärungskampagnen für Diabetes, Darmkrebs, multiple Sklerose und so weiter. Ich habe noch nicht eine gute informative Aufklärungskampagne im öffentlichen Raum für Angsterkrankungen oder Depressionen gesehen. Gerade bei Depressionen ist die Rate der Todesfälle nicht gering.

Einige betroffene Menschen, die ich kennengelernt habe, schämen sich für ihre Betroffenheit. Sie tun alles, damit keiner davon etwas mitbekommt. Aber genau das kann man ändern. Die Betroffenen sollten mithelfen, dass seelische Erkrankungen nicht mehr verheimlicht werden müssen.

Heute spreche ich mit meinen Kollegen über mein Verhalten. Wenn ich mich zum Beispiel für zehn Minuten zurückziehen muss, um Luft zu holen oder mich zu beruhigen. Ich bekomme dafür Verständnis, einige wollen Genaueres wissen. Eine Kollegin hat daraufhin über ihren Klinikaufenthalt nach einem seelischen Zusammenbruch berichtet. Das Verhältnis unter den Kollegen ist dadurch unkomplizierter geworden.

Meine Partnerin hatte gute Erfahrungen mit der Selbsthilfegruppe gemacht, und mir geraten, an einer teilzunehmen. Die Gruppe hilft mir, an meinen Problemen zu arbeiten, hinzuschauen was gerade Sache ist. Das Vertrauen untereinander hilft mir, mich in Krisen zurechtzufinden. Die Erfahrungen der Anderen sind hilfreich.“

Sven:

„Die Selbsthilfegruppe stellt auf jeden Fall eine Unterstützung dar. Wichtigster Punkt ist: man befindet sich unter "Gleichgesinnten". Hier ist man in der Lage, die Probleme zu diskutieren und sich auszutauschen. Man erhält gute Anregungen, mit der Angst umzugehen, oder einen neuen Blickwinkel auf das Problem.

Ein weiterer wichtiger Punkt ist die Regelmäßigkeit, mit der die Gruppensitzungen stattfinden, so hat man immer eine verlässliche Anlaufstelle.“

Maria:

„Die Idee mit der Teilnahme an einer Selbsthilfegruppe entstand während meines Klinikaufenthaltes. Ich hatte gehört, dass die Rückfallquote, wieder in der Klinik zu landen, mit Selbsthilfegruppe geringer ist. Aus heutiger Sicht kann ich es nur bestätigen. Darüber hinaus habe ich festgestellt, dass es wirklich eine Hilfe darstellt.

Selbsthilfe bedeutet herauszufinden, was ich brauche um klar zu kommen. Die Gruppe gibt mir Feedback, ich kann mich auseinandersetzen mit den Ansichten und Lebenseinstellungen der Anderen. Ich kann mein Verhalten überprüfen und auch das der Anderen, ohne Angst zu bekommen.“

Fragen an die Gruppenleiterinnen

Was bedeutet für Angstbetroffene Selbsthilfe:

Imke, Gruppenleiterin:

„Zunächst einmal sich wieder mit anderen Menschen treffen, die Wohnung verlassen, dem Tag ein wenig Struktur geben. Sich mit Menschen auszutauschen, die die Thematik kennen, denen man nicht erst erklären muss, warum man Angst hat. Außerdem können sich Angstbetroffene in Selbsthilfegruppen Anregungen holen, anders mit ihrer Angst umzugehen, neue Wege beschreiten bei der Bewältigung von Angst und zu wissen, ich bin nicht allein mit meiner Angst.

Austausch und Anregung im Umgang mit der Angst. Sich selbst um Veränderungen kümmern, nicht "kümmern lassen". In Austausch mit anderen eigene Stärken neu zu definieren, erkennen und zu nutzen. Selbstheilungskräfte und Ressourcen zu mobilisieren, nicht warten, dass jemand anderes mich an die Hand nimmt. „Ich nehme mich selbst an die Hand“.

Gruppenteilnehmerinnen und –teilnehmer können die Unterstützung anderer in Anspruch nehmen und ihre Unterstützung anderen anbieten. Es findet ein Austausch auf gleicher Ebene statt. In der Selbsthilfearbeit kann jede/r von jedem profitieren. Teilnehmerinnen und Teilnehmer können neue Verhaltensweisen ausprobieren und sich gegenseitig über ihre Erfahrungen informieren. Das soziale Umfeld erweitert sich.“

Johanna, Gruppenleiterin:

„Selbsthilfe ist ein wunderbares Konzept. Es ist die Schnittstelle zwischen dem Versuch, sich alleine zu helfen, und den Angeboten des psychosozialen Versorgungsnetzes, die in der Regel die Krankenkasse, den Staat und/oder den/die Hilfesuchende/n viel Geld kosten. Es ist ein Weg, Menschen durch die kreative Kraft einer Gruppe zu befähigen und zu ermächtigen, sich selbst und die eigenen Probleme mit Abstand, aus dem Blickwinkel anderer Menschen und manchmal auch mit Humor zu betrachten.

Ich glaube, dass Selbsthilfegruppen für viele Menschen ein Ort - manchmal der einzige Ort - sind, an dem sie von dem erzählen können was sie bedrückt, ohne sich schämen zu müssen und ohne verurteilt zu werden. Das kann unglaublich heilsam sein. Eigene Gedanken und Empfindungen zu einem Thema, das in der Selbsthilfegruppe angesprochen wird, können für andere hilfreiche Impulse bedeuten - der Hilfesuchende wird zum Helfer für eine/n andere/n. Allein dies kann Selbstwert bauen und das Gefühl, nutz- und hilflos zu sein, sowie fürchterlich arm dran zu sein relativieren und auch kurzweilig verändern.

Die Verlässlichkeit, Regelmäßigkeit und Kontinuität einer Selbsthilfegruppe kann Halt und Struktur geben, wenn diese im eigenen Leben einzubrechen drohen. Die Vertrautheit, die über einen längeren Zeitraum zwischen Gruppenmitgliedern entstehen kann, sowie die Verlässlichkeit des/der Gruppenleiter/in macht es meiner Erfahrung nach unter Umständen möglich, selbst dann zu kommen, wenn depressive Phasen schwerwiegender werden. Dann kann die Gruppe Initiator für weiterreichende Maßnahmen sein und die Erfahrungen der Gruppenmitglieder und der Leiterin/des Leiters helfen dem entsprechenden Gruppenmitglied unter Umständen, gleich das richtige Angebot aufzusuchen und sich eine lange Arzt-, Psychotherapeuten- oder Klinikodyssee zu ersparen. Nach, oder sogar parallel zu einer weiteren Maßnahme steht die Gruppe weiterhin stützend zur Verfügung, und kann ein Gefühl vermitteln, nicht ganz allein auf der Welt zu sein.

Im Unterschied zu psychologischer Einzel- und Gruppenpsychotherapie empfinde ich Selbsthilfe als offener, niederschwelliger und in der Möglichkeit ihrer Themenwahl dem Alltäglichen, Kleinen näher. Sie kann keine Psychotherapie ersetzen und reicht meiner Meinung nach in ihren Möglichkeiten, eine grundlegende Veränderung herbeizuführen, nicht so weit und tief, wie dies in einer psychologischen Psychotherapie u.U. möglich sein kann. Aber sie ist herzlich, stabilisierend - und sie kann auf einer alltäglichen Basis immer wieder Hoffnung und Mut zum Leben und seiner Bewältigung geben. Ich denke, das ist sehr viel.“

Unsere Gruppen:
  • Ängste und Depressionen
  • Angehörige von Borderline-Betroffenen
Aktuelle Hinweise
Die telefonischen Sprechstunden finden derzeit zweimal monatlich statt. Anfragen gerne auch per E-Mail.